Drei Pfälzer, eine Idee: ein urbanes Weingut! Svenja und Jonathan Hollerith und Kai Sommer sind dabei, das Erlebnis der Weinproduktion in die Großstadt zu holen und das erste urbane Weingut Deutschlands zu werden – inklusive Vinothek. 2017 wollen sie ihre Urban Winery in Köln eröffnen und mitten in der Stadt Trauben zu Wein verarbeiten. Bis dahin produzieren sie ihren Wein noch auf dem Land – die Kölner Streetart auf den Etiketten zeugt dabei schon von der Sehnsucht nach der Stadt.
Jonathan ist als Winzer der Weinexperte, ihm wurde die Faszination für den Weinbau praktisch mit in die Wiege gelegt – sein Vater war schon Winzer. Aufgewachsen ist er in den USA, wo sein Vater zeitweise gearbeitet hat. Seine Frau Svenja übernimmt als Mediengestalterin den kreativen Part und Kai ist für den wirtschaftlichen Teil des Trios verantwortlich.
Wir haben die drei in ihrem Pop-up Store in Köln Ehrenfeld getroffen – dort präsentierten sie für zwei Monate ihre Idee, schenkten Wein aus, knüpften Kontakte. Oder gingen mit einer Flasche Wein auf Zeitreise – uns haben sie verraten, wie das genau funktioniert.
Interview
Ihr wollt euch den Weg von einem ländlichen Weingut in der Pfalz zu einem urbanen Weingut in der Großstadt bahnen. Wie kamt ihr auf eure Idee, die Weinproduktion in die Stadt zu verlegen?
Svenja: Das war an einem Grillabend in der Pfalz, bei dem wir über die Zukunft philosophiert haben. Jonathan und ich wollten schon immer in der Stadt wohnen. Seinetwegen bin ich nach meiner Ausbildung zur Mediengestalterin in Köln zurück in die Pfalz gezogen, denn als Winzer findet man in der Stadt keine Anstellung. Wir kannten das Konzept der Urban Winery aus Amerika – also ein Weingut, welches den Weinkeller für die Verarbeitung der Trauben zu Wein nicht auf dem Land, sondern in der Stadt beherbergt – und hielten das für eine coole Idee. Kai war noch im Studium des Strategischen Managements und hat dann als Abschlussarbeit einen Businessplan geschrieben – für unsere Idee eines urbanen Weinguts. 2014 ist dann der Vater von Jonathan gestorben. Er besaß ein kleines Weingut auf 3 Hektar Land in der Pfalz. Und da Jonathan der Einzige in der Familie ist, der Weinbau studiert hat, kam nur er als Nachfolger in Frage. Da auch er nicht auf dem Land wohnen bleiben wollte, haben wir schließlich unsere Idee angepackt: eine Urban Winery in Köln zu eröffnen.
Jonathan: Mein Vater hat in Deutschland Weinbau studiert. Als er mit dem Studium fertig war, bekam er eine Stelle in den USA, da war ich erst drei Monate alt. Wir sind dann mit der ganzen Familie in die USA ausgewandert. Er hat zwei Weingüter in Virginia aufgebaut und eines in Kalifornien. Ich bin in den USA aufgewachsen. Nach der High School bin ich nach Frankreich gegangen und war anderthalb Jahre in Bordeaux. Da habe ich rausgefunden, dass ich wirklich was mit Wein machen will. An der Universität Davis in Kalifornien habe ich schließlich Weinbau studiert. Nach dem Studium bin ich zurück nach Deutschland gekommen und habe gemeinsam mit meinem Vater unser Weingut hier aufgebaut.
Wie kann man sich das vorstellen, ein urbanes Weingut?
Kai: Wir machen einfach nur Wein. Der Unterschied wird sein, dass wir die Trauben nicht dort verarbeiten, wo sie angebaut werden, sondern in die Stadt transportieren werden und erst hier verarbeiten. Die Menschen können dann schon bei der Anlieferung dabei sein und miterleben, wie viel Arbeit in so einer Flasche Wein steckt. Wir wollen Transparenz schaffen, zeigen, was mit den Trauben passiert. Viele Menschen wollen heutzutage mehr Bezug zu den Produzenten haben und bei uns kann man sogar selbst bei der Produktion mitwirken und persönlich mit dem Winzer sprechen – mitten in der Stadt. Es soll auch eine kleine Vinothek geben, wo die Leute ein Glas Wein genießen können und gleichzeitig Einblick in den Produktionsbereich haben. Wir wollen ein bisschen Natur in die Stadt holen.
Warum gab es das vorher noch nicht in Deutschland?
Kai: Bei Winzern handelt es sich oft um Familienbetriebe, die bleiben dann eher auf dem Land. Und dann ist vielen sicher das Risiko zu groß, so eine Produktion in die Stadt zu verlagern.
Svenja: In der Stadt sind die Kosten höher als auf dem Land: eine Halle von 600 m² kostet in Köln deutlich mehr als in Rheinland-Pfalz.
Was ist – abgesehen von dem Produktionsprozess – das Besondere an eurem Wein? Ihr habt auf eurer Homepage auch ein „Organic Manifesto“, was hat es damit auf sich?
Svenja: Uns ist es wichtig, mit der Natur zu leben, wir möchten sie nicht ausnutzen. Wir achten darauf, dass wir das, was wir ihr wegnehmen, auch wieder zurückgeben und dadurch nachhaltig und biologisch arbeiten – sowohl im Weinberg als auch im Keller.
Jonathan: Ich möchte nicht der Meister der Natur sein, sondern ihr Diener. Ich benutze zum Beispiel keine industrielle Hefe, um den Geschmack des Weins in eine bestimmte Richtung zu lenken, sondern greife auf die Spontangärung zurück. Dabei wird nur Hefe genutzt, die sich natürlich auf der Traube und in ihrer Umgebung befindet. Außerdem ist die Lage unseres Weinbergs außergewöhnlich, Heiligenberg in Maikammer/Pfalz. Es gibt dort einen Muschelkalkboden, ein dunkler Lehmboden, das führt zu relativ viel Spannung im Gaumen.
Kai: In Zukunft wird vor allem die urbane Produktion das Besondere ausmachen, denn es geht dabei nicht nur um den Geschmack des Weins, sondern um das ganze Erlebnis: Bei der Traubensortierung und Abfüllung dabei zu sein, der direkte Kontakt zum Winzer, das alles schafft Vertrauen und Transparenz inmitten der Großstadt.
Ihr habt ganz unterschiedliche berufliche Hintergründe – Jonathan ist Winzer, Kai hat Strategisches Management studiert und Svenja ist ausgebildete Mediengestalterin. Erzählt mal davon und wie ihr euch kennengelernt habt.
Kai: Als ich Jonathan und Svenja 2010 kennengelernt habe, waren sie schon verheiratet. Ich habe damals in den Semesterferien bei Jonathan in den Weinbergen geholfen. Meinen Master habe ich in Strategic Management abgeschlossen. Jetzt bin ich bei uns für den wirtschaftlichen Bereich zuständig, mache die Buchhaltung und organisiere Events. Bei so einem kleinen Team macht aber jeder alles. Wenn wir größer werden, können wir uns mehr spezialisieren.
Svenja: Jonathan und ich haben uns 2004 auf einer Party in Rheinland-Pfalz kennengelernt, damals hat er noch in den USA gelebt. Am Anfang hatten wir also eine Fernbeziehung. Jonathan ist nach seinem Studium in den USA dann nach Köln gekommen, wir sind zusammen gezogen, dann kam das erste Kind, dann das zweite. Und zwischendrin hatten wir die Idee des urbanen Weinguts. Wir haben uns natürlich schon gefragt, ob wir das riskieren wollen, zu zweit in die Selbstständigkeit zu gehen, das Risiko ist so deutlich größer. Aber wir haben uns dafür entschieden, und es war ein guter Schritt. Ich kümmere mich jetzt um das Marketing und das Design.
Jonathan, dein Vater ist sehr krank geworden und dann gestorben. Daraufhin hast du das Weingut übernommen?
Jonathan: Ich war zu dem Zeitpunkt in den USA und musste mich entscheiden, ob ich dort bleibe – ich hatte einen guten Job. Aber die Familie war wichtiger, das Weingut und all die Erinnerungen. Die Entscheidung, zurück nach Deutschland zu gehen, fiel mir nicht schwer. Da hatten wir auch schon die Idee mit dem urbanen Weingut.
Wie geht ihr mit dem Risiko der Selbstständigkeit um?
Jonathan: Ich arbeite noch als Berater für Weingüter in den USA, dadurch habe ich ein sicheres monatliches Einkommen.
Svenja: Bei mir ist es die Familie im Hintergrund.
Und wie finanziert ihr eure Idee?
Kai: Das meiste ist aus Eigenmitteln finanziert, außerdem erhalten wir viel Unterstützung über Familiendarlehen. Wir sind im Gespräch mit Banken und Investoren, damit wir das gesamte Konzept finanzieren und auch einen Mietvertrag für die Produktionshallen unterschreiben können, um schließlich die Produktion vom Land in die Stadt zu verlegen.
Sicher habt ihr in der Anfangsphase auch schon mit Rückschlägen zu kämpfen gehabt. Was sind eure größten Herausforderungen?
Jonathan: Ich habe schon gewusst, dass es nicht leicht wird. Die Rückschläge sind, dass alles länger dauert, als man denkt. Jetzt kommt noch der letzte und größte Schritt: der offizielle Start der Produktion in Köln. Wir hatten gehofft, dass wir Ende 2016 damit beginnen können, aber jetzt sieht es eher nach 2017 aus.
Auf eurem Facebookprofil habt ihr ein Hintergrundbild mit Weinkisten, auf denen steht: Wein macht Freude. Die Kisten stehen auch hier im Laden. Was mögt ihr so an Wein?
Svenja: Wenn man in einer Weinbauregion groß wird, dann lebt man mit dem Wein. Ich kenne niemanden in Rheinland-Pfalz, der nicht schon mal Wein getrunken hat. Bei uns gab es früher von Frühling bis Herbst jedes Wochenende ein Weinfest, das war unsere Partyzone. Ich habe schon als Kind in den Weinbergen mitgeholfen für ein bisschen Taschengeld. Nicht nur das Weintrinken macht Spaß, sondern auch das Ganze drum herum. Und dieses Erlebnis möchten wir an die Leute in der Stadt weitergeben.
Kai: Ich habe Wirtschaft studiert, aber erst seitdem ich mein Studium mit dem Weinmachen verbinden kann, macht mir das richtig Spaß. Weinmachen, das ist eine ehrliche Arbeit. Wenn man bei der Weinlese drei bis vier Wochen durchgeackert hat, fühlt man, dass man was geschafft hat.
Jonathan: Ich liebe Kunst und im Wein ist die Natur die Kunst – der Winzer steuert das nur ein bisschen, für mich ist es eine einfache Art, ein Künstler zu sein. Und ich kann mit einer Flasche Wein durch die Zeit reisen. Ich kann eine Flasche aufmachen, die ich zusammen mit meinem Vater angebaut habe oder eine, die ich zusammen mit Svenja und Kai geerntet habe. Hinter jeder Flasche Wein gibt es eine Geschichte.
Wie kamt ihr zu dem Pop-up Store in Köln Ehrenfeld? Und wie geht’s weiter?
Svenja: Der Pop-up Store war eine Möglichkeit der Präsentation. Ich habe direkt im Laden angefragt. Ich finde die Straße besonders schön, es gibt ein Straßenfestival und die Leute sind sehr miteinander verbunden. Die Dame, die hier vorher drin war, hat mir den Kontakt zu der Vermieterin gegeben, die lustigerweise auch aus Rheinland-Pfalz kommt. Sie vermietet den Laden immer nur für maximal drei Monate, um möglichst vielen Künstlern die Möglichkeit zu geben, sich zu präsentieren. Bei uns waren es jetzt nur zwei Monate, weil alles schon ausgebucht war. Für uns war diese Zeit eine Zeit des Kennenlernens mit der Kundschaft, wir haben gesehen, wie wir ankommen – das haben wir zwar schon auf Events getestet, aber so kam eine normale Laufkundschaft dazu. Für uns lief es super! Wir würden gerne noch mal einen Pop-up Store eröffnen. Und wir sind dabei, unsere eigene Location hoffentlich bald unter Dach und Fach zu bringen, die Eröffnung ist für Ende des Jahres geplant.
Was sucht ihr da genau? Ihr braucht ja viel Platz, um die Produktionshallen, den Keller und die Vinothek unterzubringen.
Jonathan: 550 m².
Kai: Es gibt einen Ort, bei dem wir schon recht weit in den Verhandlungen sind. Die letzten Finanzierungsschritte müssen aber noch gemacht werden. Es gibt noch ein paar andere Hallen in Köln, die auch denkbar wären. Die Größe und Lage müssen natürlich stimmen, und vor allem müssen die Auflagen, die wir von der Stadt bekommen, gut umzusetzen sein. Das ist nicht so einfach, es gibt nicht viele Objekte, die für unsere Bedürfnisse überhaupt in Frage kommen.
Was sind das für Auflagen, die ihr erfüllen müsst?
Kai: Brandschutz, Fluchtwege, für den Wein muss die Temperatur stimmen.
Jonathan: Bei der Gärung gibt es einen CO2-Ausstoß, deshalb benötigen wir ordentliche Ventilationssysteme.
Kai: Da sind viele Dinge dabei, die vorher auch der Stadt fremd waren, weil das für sie Neuland ist.
Seid ihr mit der Suche nach den passenden Räumlichkeiten im Moment am meisten beschäftigt?
Jonathan: Ja, und mit dem Vertrieb. Wir wollen verstärkt mit der Gastronomie zusammenarbeiten.
Verkauft ihr schon viel von eurem Wein?
Svenja: Ja, die erste Woche hier ist super angelaufen und auch über den Onlineshop haben wir schon einen Kundenstamm aufgebaut.
Wie viel kostet eine Flasche Wein bei euch?
Svenja: Zwischen acht und 18 Euro.
Und wofür steht der Name, Stadtkellerei IMI?
Jonathan: IMI war der Spitzname meines Vaters. Er hieß eigentlich Joachim, aber als er klein war, hat er immer Joachimi gesagt, daraus ist das IMI geblieben. Mein Bruder, meine Schwester und ich, wir kennen unseren Vater nur als IMI, und ohne meinen Vater wäre das Ganze schließlich gar nicht möglich.
Auf euren Flaschen sind Graffitis aus Köln zu sehen, was hat es damit auf sich?
Svenja: Jonathan hat sich schon immer sehr für Street-Art interessiert und wir wollten unsere Weinetiketten mit Kunst schmücken. Zuerst wollten wir jeden Wein einem Viertel in Köln zuordnen und dann mit der entsprechenden Street-Art versehen, das hat aber nicht so richtig funktioniert. Wir haben es uns dann einfacher gemacht und einfach geguckt, welche Street-Art uns gefällt, die Künstler kontaktiert und gute Resonanz bekommen.
Jonathan: Mittlerweile kommen die Graffitikünstler sogar auf uns zu.
Wie stellt ihr euch eure Zukunft vor – beruflich und persönlich? Gibt es etwas, dass ihr euch wünscht?
Kai: Das ganze Unternehmen soll ein nachhaltiges Projekt werden, wir wollen Leute einstellen und irgendwann steht hoffentlich der Spaß im Vordergrund, denn am Anfang bedeutet so ein Unternehmen noch viel Stress und Veränderung.
Jonathan: Ich möchte in Zukunft 60.000 bis 80.000 Flaschen Wein im Jahr produzieren. Im Moment sind es 20.000. Aber das Beste hat sich für mich schon verwirklicht: Ich mache Wein und das macht mich glücklich. Wenn das ganze Unternehmen dann auch noch läuft, bin ich einfach noch ein bisschen glücklicher.
Liebe Svenja, lieber Jonathan und lieber Kai, habt vielen Dank für das nette Gespräch und die Kostprobe eures Weins.
Interview & Text: Lisa Jansen // freie Journalistin
Fotos: Kerstin Müller // Fotografie
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